Unser-Usinger-Land Wolfgang Ettig
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Unsere Lieben Fraw zu Lantsteyn



landstein

Ein Kleinod im Weiltal

Die heutige Ruine und ehemalige Wallfahrtskirche "Unsere Liebe Frau zum Landstein" ist ein ganz besonderer Ort, da man eine solch große Kirche im Weiltal eigentlich nicht vermutet. Seit 2018 ist die Ruine im Besitz des Naturparks Taunus und soll als Kulturdenkmal erhalten, gepflegt und im späteren Verlauf auch für Veranstaltungen bereitgestellt werden. Um die in der Vergangenheit stark in Mitleidenschaft gezogene Ruine zu erhalten, wurde vom Büro für Burgenforschung von Dr. Joachim Zeune ein Sanierungskonzept erarbeitet, welches eine behutsame Konservierung und Sicherung der noch erhaltenen Mauerreste vorsieht. Die archäologischen und bauhistorischen Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, haben aber bereits jetzt im Jahre 2020 wichtige neue Erkenntnisse zur Geschichte der Kirche ergeben und werfen ein neues Licht auf die vorhandenen schriftlichen Quellen. Die denkmalgerechte Sanierung ist ein erster und wichtiger Schritt, um die Ruine zu einem kulturellen Erfahrungsort im Weiltal zu machen.

Die imposante Kirchenruine war zweifelsfrei der spirituelle Mittelpunkt einer kleinen territorialen Einheit: das „Treisberger (oder Landsteiner) Gericht“, zu dem neben dem Landstein vor allem die Dörfer Treisberg, Finsternthal, mitunter auch die Wüstungen Sellerberg und Nodingsdal gehörten. Im jeweiligen Inhaber dieses Kleinterritoriums darf man den Bauherrn der Landsteiner Kirche sehen. Die Kirche gehörte einst – so die Mutmaßung – zu einer Wüstung, die sich nunmehr auf Altweilnauer Gemarkung befindet. Die erste Erwähnung einer „Ansiedlung“ an der Einmündung des Niedgesbaches in die Weil findet sich um das Jahr 1350. Es handelt sich hierbei um das Besitzregister Markolfs von Hattstein (*1337; †1366): Genannt wird ein eppsteinisches Burglehen zu „Landsburg“. Frühere Forscher glaubten, unter diesem Ort die Wüstung Landstein bei Altweilnau zu lokalisieren. Man vermutete, das Suffix „-stein“ in der heutigen Ortsbezeichnung „Landstein“ mache es wahrscheinlich, dass es sich um eine ehemals kleine Befestigung handelte, die wohl den eppsteinischen Vögten des Mainzer Stephansstiftes als Verwaltungssitz diente. Moderne Forschungsansätze konnten diese Annahme bislang weder archäologisch noch aus quellenkundlicher Sicht zweifelsfrei verifizieren. In Urkunden und späteren Ausarbeitungen diverser Autoren wird die als „Dorf“ bezeichnete Örtlichkeit Landstein fortgeschrieben, obgleich es wohl nie eine dörfliche Siedlung im eigentlichen Sinne gewesen ist. Die dortige Mühle existiert seit ca. 1500 oder etwas früher. Ihre Ersterwähnung „Mühle zu dem Landstein“ findet sich in einer Urkunde von Gottfried IX. von Eppstein-Münzenberg (*~1436; †1522) vom 21. Juni 1500. Zu diesem Zeitpunkt stand die Wallfahrtskirche in den Ausmaßen, wie wir sie heute kennen, bereits.

Der ursprüngliche Mittelpunkt der Herrschaft war Treisberg, urkundlich erstmals 1272 erwähnt. Damals schenkten die Herren von Eppstein das Dorf mit der dortigen ortseigenen Pfarrkirche (ecclesia in Treisberg) und den dazugehörigen Rechten sowie die Kapelle in Sellerberg (heutiges Seelenberg) dem nordöstlich von Fischbach im Vordertaunus gelegenen Prämonstratenserinnenkloster Retters. Die Eppsteiner waren dem Kloster eng verbunden.
Knapp hundert Jahre später, 1369, erwarben die Herren von Kronberg das Treisberger Gericht; im Jahre 1441 gelang es den Eppsteinern, die Herrschaft wieder an sich zu bringen; hinzu kamen noch Teile der benachbarten Herrschaft Altweilnau.

Die archäologischen Ausgrabungen brachten zutage, was letztlich zu vermuten war. Kirchen einer Größenordnung wie die am Landstein wachsen nicht einfach so aus dem Boden; oftmals wurden bereits bestehende Gebäude überbaut und erweitert. Im Falle der Landsteiner Kirche konnten neben einem nur punktuell tangierten, nicht näher fassbaren Vorgängerbau zwei Hauptphasen und einige kleinere Umbauphasen ermittelt werden: zuerst eine geringfügig kleinere Kirche, die in den Jahren um 1350 entstand, dann Ende des 15. Jahrhunderts der Neubau des heute sichtbaren Kirchengebäudes. Dieser Sakralbau umfasste ein wuchtiges Westwerk aus zentralem Turm und zwei Seitenkammern, ein wohl flach gedecktes Langhaus und einen leicht eingezogenen fünfseitigen Chor mit starken Strebepfeilern. Im Chorinneren hatten sich, trotz der massiven Abbruchtätigkeiten des 17. Jahrhunderts noch zwei der insgesamt acht Sockelsteine jener wandvorlagen erhalten, die einst das Gewölbe trugen. Ein Boden aus kräftigen, polygonalen Schieferplatten konnte archäologisch nachgewiesen werden, musste aber aus denkmalschutzgründen wieder verfüllt werden.
Ob diese erste Kirche aus der Zeit der Kronberger Herrschaft über Treisberg stammt, lässt sich beim aktuellen Stand der Forschung noch nicht verlässlich belegen.

Die letzte Bauphase Ende des 15. Jahrhunderts sollte den Herren von Eppstein zuzuordnen sein. Somit ist es vorstellbar, dass diese zum Ausbau ihrer neu erworbenen Machtposition im Weiltal die Wallfahrt bewusst gefördert und mit einem repräsentativen Kirchengebäude versehen haben. Verlässliche Nachrichten über den Landstein als Wallfahrtsort gibt es seit 1500. In diesem Jahr stiftete Gottfried IX. von Eppstein-Münzenberg eine Samstagsmesse in der Kirche. 1517 wurden zwei neue Glocken für die Kirche gegossen. Auch sind mehrere Wallfahrten urkundlich belegt. Über die Ausstattung existiert ein Verzeichnis aus dem Jahr 1519, welches ein durchaus reiches Inventar dokumentiert. Vier Altäre, Paramente (Altartücher, umfangreiche Beständen an Messgewändern etc.), liturgische Geräte, ein marianisches Gnadenbild sowie gleich drei Ablassbriefe mit Kardinalssiegeln. Organisiert wurde die Betriebsamkeit durch eine vor Ort agierende Laienbruderschaft. Die Kirche zeigte sich jetzt als Konstrukt von 38 x 16,5 Metern. Sie war somit nur wenig kleiner als die Usinger Laurentiuskirche (43,5 x 18,5 Meter).

Überholt von den raschen Reformationsbestrebungen Eberhards IV. von Eppstein (*~1474; †1535) in den 1520er Jahren und einem Herrschaftswechsel nach dem Aussterben der Grafen von Eppstein im Jahre 1535, hielt die Blütezeit der Marienverehrung am Landstein kaum ein halbes Jahrhundert. Allerdings blieb er als Markt- und Gerichtsort noch einige Zeit bestehen. Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts fand vor Ort noch ein Oster- und Jacobi-Markt statt. Ferner wurden Gerichtstage abgehalten. Falls im Schatten der Kirche tatsächlich eine kleine Ansiedlung bestanden hatte, so sind diese wenigen Häuser noch im 16. Jahrhundert wüst gefallen. Die nunmehr ungenutzte Kirche verfiel rasch und wurde als Quelle für Baumaterialien beansprucht. Bereits 1577 war sie baufällig und hatte keine Türen und keine Glocken mehr. Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges machten ihr letztendlich den Garaus. Nach dem Krieg, 1649/50, fanden Steine, Sandsteinbögen, Dachschiefer und die Säulen, welche die Decke des Langhauseses trugen, beim Wiederaufbau der 1635 zerstörten Stadtpfarrkirche Laurentius in Usingen ihre Verwendung. Bekannt ist auch, dass seinerzeit der Turmhelm und der Glockenstuhl nach Kirberg im Westerwald verkauft wurde.

Die Kirche versank im Dornröschenschlaf!
Erst 1827 erinnert sich die Herzogliche General Domänen-Direktion in Wiesbaden wieder an die Ruine im Weiltal. Auslöser war, dass der damalige Erbleihmüller Philipp Peter Busch in Usingen für die Ruine eine Abrissgenehmigung beantragte. Die Bewilligung wurde durch den zuständige Herzoglich-Nassauischen Amtmann und Geheimen Regierungsrats Johann Wilhelm Ferdinand Emminghaus (*1778; †1844) zu Usingen erteilt. Doch bevor es zum tatsächlichen Abriss kam, schaltete sich die Domänendirektion in Wiesbaden in die Angelegenheit ein und sprach sich für den Erhalt der Ruine aus. In einem Schreiben aus Wiesbaden, an Emminghaus heißt es: „Die bei der Landsteiner Erbmühle befindliche ehemalige 'Pfarrkirche', welche nach ertheilter amtliche Erlaubniß zu Abbruch bestimmt ist, in einem tiefen Waldthale und so romantisch gelegen, daß es von Interesse seyn soll, dieses aus grauer Vorzeit herrührende Denkmal fortbestehn zu lassen, besonders da die Mühle ringsrum von Felsen umgeben sey, welche die zu ihrem Bauwesen erforderlichen Bausteine mit leichter Mühe liefern könnten."
Wäre man in Wiesbaden nicht so umsichtig gewesen wäre die Ruine heute getilgt.

Ende des 19. Jahrhunderts erfolgten erste Stabilisierungsmaßnahmen des Turms und der Seitenkammern. Ferner an der südöstlichen Hangmauer. Wie wenig Bedeutung man einer selbst in neuerer Zeit der Kulturhistorie der Ruine beimaß, zeigt eine bei den Grabungen freigelegte, mit brachialer Gewalt mitten durch Chor und Langaus führende Erdkabeltrasse (Kommunikationsleitung) aus den frühen 1940er Jahren. In den 1950er Jahren erfolgten dann weitere Sanierungsarbeiten an der nördlichen Seitenkammer.

Umso erfreulicher ist es, dass das Denkmal nun im Besitz des Naturpark Taunus ist und eine Sanierung vorgenommen wird. Die Gesamtkosten der denkmalpflegerischen Maßnahmen wurden mit 660.000 € veranschlagt. Außer Bund und Land beteiligt sich der Hochtaunuskreis mit einem Zuschuss. Der Naturpark Taunus und die Gemeinde Weilrod stellen Eigenleistungen zur Verfügung. Die noch fehlenden Mittel sollen durch weitere Zuschüsse und Spenden aufgebracht werden.

Die Kirchenruine „Unsere Liebe Frau zum Landstein“ gehört zweifellos zu den herausragenden Kulturdenkmälern der Region. Ihre Sanierung ist somit ein wichtiger Schritt, den Ort zu einem kulturellen Erfahrungsort zu machen. Bis zum Jahr 2024 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Text: Dr. Joachim Zeune, Gregor Maier (M.A.), Wolfgang Ettig, [aktualisiert: Jan.2023]; Fotos: Peter Krings/Usingen, Klaus Keller/Obernhain

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Foto links: Aufnahme aus dem Jahr 2018; Foto rechts aus dem Jahr 2020

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Foto links: Aufnahme aus dem Jahre 2021, rechtes Foto aus dem Jahre 2022